Gedenken am 9. November
In der Geschichte Deutschlands ist der 9. November ein Tag mit zwei Gesichtern:
Einem vor Freude strahlenden Gesicht über den Fall der Mauer und die Öffnung der innerdeutschen Grenze 1989.
Einem traurigen, schamvollen, betroffenen Gesicht über den Reichspogrom 1938.
Durch Brandschatzung, Mord und Plünderungen offenbarte sich – für alle sichtbar – die tödliche Fratze des Nationalsozialismus.
So erinnerten in den zurückliegenden Jahren Vertreter*innen der beiden Kirchen, der politischen Kommune, die Mitglieder des Arbeitskreises „Ehemalige Synagoge Großkrotzenburg“ an die Plünderungen der Wohnungen ehemaliger Mitbürger*innen jüdischen Glaubens, die Zerstörung des Innenraumes der Synagoge, die Verhaftung, Misshandlung und Inhaftierung von Männern jüdischen Glaubens im KZ – Buchenwald in einer Gedenkstunde in der ehemaligen Synagoge. Am Ende der Gedenkstunde erfolgte die Niederlegung eines Kranzes am Denkmal auf dem Platz vor der Synagoge.
Eine Gedenkstunde im Pandemiejahr 2020 in der Synagoge? Undenkbar!
Ebenfalls kam die Absage des Gedenkens nicht in Frage.
Ein neues dem Anlass entsprechendes würdevolles Konzept wurde entwickelt, das auch den Pandemieauflagen Rechnung trug.
Das Gedenken erfolgte ausschließlich im Freien und bestand aus zwei Teilen:
Einem Sternmarsch von drei Gruppen zum Platz vor der Synagoge und dann der gemeinsamen Gedenkfeier dort.
In drei Gruppen näherten sich die Gedenkenden dem Platz vor der Synagoge, beginnend in der Louisen-, der Oberhaag-, und der Nebenstraße. Jede Gruppe wurde von einem „Gedenkpaten“ begleitet. P. Daniel Müssle, Holger Kraft und Dr. Klaus Janssen fungierten als „Gedenkpaten“. Sie verlasen Texte von Erich Fried, hielten an mit Grablichtern erleuchteten Stolpersteinen inne und erinnerten an die Schicksale der Familien: Lazarus Waller, Josef Waller, Gustav Rosenthal, Salomon Waller, Gustav Schmidt und Leopold Waller. Für einen kurzen Augenblick erhielten alle oben genannten Familien ihre „Gesichter“ zurück.
Die sechs mitgeführten Grabkerzen wurden am Denkmal abgestellt, ergänzt durch eine siebte Kerze, die an das Schicksal der Familie von Markus Hirschmann und dessen Nachfahren erinnerte.
Herr Pfarrer Dr. Goldmann begrüßte alle Anwesenden zur musikalisch von Frau Mettananda umrahmten Gedenkfeier.
Grußworte der Enkelinnen von Josef und Frieda Waller, Naomi Rozen und Yael Herz bedeuteten den Gedenkenden, dass sich auch Nachfahren ehemals in Großkrotzenburg lebender Juden in Israel mit ihnen verbunden fühlten.
Im Mittelpunkt des diesjährigen Gedenkens stand die Lesung der Namen, der von den Nationalsozialisten ermordeten Mitgliedern der Synagogengemeinde von Großkrotzenburg und – wenn möglich – die Nennung ihrer Todesorte.
Eindrücklich und berührend war Psalm 74 „Klage über das verwüstete Heiligtum“ den Pfarrer Sack vortrug. In den Mittelpunkt seiner Ansprache stellte Bürgermeister Thorsten Bauroth den Antisemitismus und den Rechtsradikalismus unserer Tage und die damit verbundene aufkommende Angst in den jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland.
Anschließend legten Herr Bürgermeister Thorsten Bauroth und der Vorsitzende der Gemeindevertretung Herr Bernd Kurzschenkel einen Kranz nieder.
Schweigend gingen die Gedenkenden auseinander.
Monika Ilona Pfeifer für den Arbeitskreis „Ehemalige Synagoge Großkrotzenburg
Foto: Ralf Eltner, Großkrotzenburg